Das falsche Versprechen-Solaranlagen halten ewig

Alternative Energie (Zeit Online / 19/2013)

Das falsche Versprechen: Solaranlagen halten ewig? Irrtum! Viele sind schon bei der Montage defekt. Die Garantien der Hersteller sind oft wertlos.

Von Burkhard Straßmann

Es ist ein todsicheres Anlagemodell. So dachten viele Hausbesitzer: Ich investiere mit einem Kredit in eine Solaranlage, kassiere die staatlich garantierte Einspeisevergütung, zahle damit den Kredit ab – und danach produziert die Anlage nur noch Geld. Mindestens zehn Jahre lang, wartungsfrei, die Sonne liefert kostenlos die Energie. Photovoltaik war scheinbar eine einfache Gleichung, ganz ohne Unbekannte. Leider geht für immer mehr Investoren die Rechnung nicht auf.

Im Jahr 2007 platzten für die ersten Solar-Kleinunternehmer die Illusionen. Ihre Anlagen, die nur wenige Jahre alt waren, warfen nicht einmal mehr genug ab, um die Kredite zu bedienen. Man raunte von geheimnisvollen optischen Veränderungen am Modul, die längerfristig für Schäden sorgten. Inzwischen zeigt sich: Das waren keine Einzelerscheinungen. Dass Solarzellen reparaturbedürftig sind, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und da auch die öffentlichen Mittel nicht mehr so sprudeln wie in der Vergangenheit, wird das Geschäft mit der Sonne mehr und mehr zum Risikospiel.

Die Bremer Firma Adler Solar verdient ihr Geld mit Solarmodulen, die nicht das tun, was sie eigentlich tun sollten. Ins Geschäft kam Adler einst durch eine umfangreiche Rückrufaktion der britischen BP Solar – ein Serienfehler betraf 120.000 Module. Heute gehören bekannte Hersteller wie die amerikanische Sunpower und die norwegische REC solar zur Kundschaft. Die amerikanische First Solar, die sich inzwischen aus Europa zurückgezogen hat, überlässt Adler sogar komplett die Abwicklung des europäischen Kundendiensts und der Gewährleistung.

Diese Geschäfte machten Adler Solar zu Europas größtem Prüfbetrieb für Solarzellen. Würde man all die dünnen Glasplatten hintereinanderlegen, die bei Adler im vergangenen Jahr getestet worden sind, ergäbe sich ein schwarzblau schimmerndes Band, das von Köln bis nach Palermo reicht. Eine Million Solarmodule haben die Mitarbeiter allein im vergangenen Jahr in die Hand genommen, geprüft, vermessen. Einen Teil haben sie für okay befunden und zurückgeschickt, einen anderen Teil repariert. Der Rest wird aussortiert und verschrottet.

Die Module kommen direkt vom Hersteller, aus China, Indien, Deutschland und den USA. Oder von Händlern, die vermuten, dass die gelieferte Ware nicht einwandfrei ist. Sie stammen vom Dach eines Einfamilienhauses, weil sich der Betreiber über die geringe Leistung seiner Anlage wundert. Oder aus einem großen Solarpark. Nicht selten geht es auch um Begutachtungen für Versicherungen. Doch eines haben die zahllosen hier geprüften Module gemeinsam: Sie stehen unter dem Verdacht, weniger sauberen Strom zu produzieren als versprochen. Wenn das keinen Schatten auf die sonnige Branche wirft.

Tatsächlich hätte man vor fünf Jahren, bei der Gründung des Test- und Begutachtungsdienstleisters für Photovoltaik, nicht einmal geahnt, dass es im solaren „After-Sales-Geschäft“, also im Kundendienst und bei der Gewährleistung, heute dermaßen viel zu tun gibt. Damals, das „1.000 Dächer“-Solarförderprogramm war zum „100.000 Dächer“-Programm gewachsen und im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verankert, galt die Photovoltaik als eine der zuverlässigsten Techniken. Leistungsverluste? Ach wo! Die Forscher waren sich einig, dass es, physikalisch gesehen, keinen Grund für Alterungserscheinungen bei den Modulen gebe – vorausgesetzt, sie sind professionell installiert. Prinzipiell spreche nichts gegen eine Laufzeit von 40 Jahren.

Ein roter Daumen im Test bedeutet: Das Modul ist müde. Aussortieren!

Eine unüberschaubare Menge großer Pakete liegt in der 4.500 Quadratmeter großen Testhalle herum. Stück für Stück heben die Prüfer die Module heraus. Sie stammen von einem namhaften Hersteller, der sie gleich containerweise auf Leistung testen lässt. Ein „Flasher“ simuliert für Sekundenbruchteile die Sonne, gemimt von einer kräftigen Xenon-Blitzlampe. Die bescheint die „Sonnenseite“ der Solarmodule. Eine Messeinrichtung zeigt an, was das Solarpanel aus dem Sonnenlicht produziert: 53 Watt elektrischer Leistung. Auf dem Bildschirm zeigt ein grüner Daumen nach oben. Doch bei jedem dritten Modul zeigt ein roter Daumen nach unten, es wird aussortiert.

Murphys Gesetz gilt auch bei der Sonnenenergienutzung

„Es gab Zeiten, da ließ sich eben alles verkaufen, selbst Ausschuss“, sagt Claas Rohmeyer von Adler Solar. Die Einspeisevergütung war hoch, Gewinn schien garantiert. Besonders wild war der Run auf Solaranlagen kurz vor den Terminen, zu denen der Staat die Vergütung mal wieder an den Boom der Photovoltaik „anpasste“, also reduzierte. Bis 2008 passierte das immer zum Jahreswechsel, heute wird monatlich angepasst. Allzu viele wollten dann mit ihrer Anlage noch schnell ans Netz. Rohmeyer erzählt von einem Investor in Mannheim, der große Mengen von Solarmodulen einfach auf den Boden legte, sie verstöpselte und damit ans Netz ging. Nur, um eine höhere Vergütung zu kassieren. Doch dann wuchs ihm die Sache über den Kopf. „Wir haben für den Hersteller das Krisenmanagement übernommen. Denn plötzlich war der Kerl weg“, erzählt Rohmeyer.

Der solare Boom und die entsprechend schrumpfende Einspeisevergütung führten zu erheblichem Druck auf die Industrie, Module massenhaft und billig zu produzieren. Es kam zu einem ruinösen Preisverfall, in dessen Folge viele europäische Hersteller mit der chinesischen Konkurrenz nicht mithalten konnten. In manchen Jahren sank der Preis der Sonnenlichtwandler um 30 Prozent. Firmen gingen pleite. Andere sparten am Material und an der Qualität. Folge: Die todsichere Geldanlage Photovoltaik ist heute eine Wette, bei der man auch viel verlieren kann.

Ein feines Gespür für technische Unzulänglichkeiten haben gemeinhin die Versicherungen. 2008 begann die Branche zu ahnen, dass da etwas auf sie zukommen würde. Mal ging eine Anlage in Flammen auf, weil ein Kurzschluss im System – es können Spannungen bis zu 1.000 Volt auftreten – einen heißen Lichtbogen produziert hatte. Undichtigkeiten führten zu Kriechströmen. Wegen maroder Aufhängungen fielen Anlagen vom Dach.

Desaströse Planungs- und Montagefehler führten dazu, dass mit Modulen vollgepackte Dächer unter Schneelast einbrachen oder dass es massive Sturmschäden gab. Oft stellten die Versicherungsexperten fest, dass „Pfusch am Bau“ die Ursache für Ausfälle war. „In den meisten Fällen ist der Installateur für den Schaden verantwortlich“, erkannte 2010 der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und begann, Broschüren und technische Leitfäden zu verteilen. Wer sich eine Solarstromanlage anschaffen wolle, heißt es darin, der müsse sie fachgerecht planen und montieren lassen. Im Betrieb müsse sie überwacht und gewartet werden. Weil sie trotzdem ausfallen könne und jede Unterbrechung Geld koste, sei über eine Ertragsausfallversicherung nachzudenken. Das alles ist natürlich teuer.

Die Ursache für defekte Anlagen ist in vielen Fällen Pfusch am Bau

Leider gilt Murphys Gesetz – was kaputtgehen kann, geht kaputt – auch bei der Sonnenenergienutzung. Wo Strom fließt, kann es einen Kurzschluss geben, irgendwann tritt er auf. Dem möchten die Techniker von Adler Solar zuvorkommen. Bei einem Test legen sie zum Beispiel unter Wasser 1.000 Volt Spannung an die Module: So werden Kriechströme entdeckt. Die gefürchteten „Hotspots“, Bereiche, in denen es infolge innerer Kurzschlüsse besonders warm wird, entdeckt man, indem man Strom „falsch herum“ durch ein Modul schickt, sodass es Strom in Wärme umwandelt. Eine Art Wärmebildkamera kann dann eventuelle Hotspots sichtbar machen. Noch mehr ins Detail geht der von Händlern und Installateuren geliebte, von Herstellern aber gefürchtete Elektrolumineszenztest. Damit kann man frisch gelieferte Ware auf winzige, womöglich folgenschwere Fehler untersuchen. Etwa auf Mikrorisse, die beim Transport auf schlechten Straßen entstehen und deren Folgen sich erst viel später zeigen können.

In einschlägigen Internetforen lassen die Endverbraucher Dampf ab und schimpfen über abgebrannte Anschlussdosen, gebrochene Lötstellen, verspannt montierte Module (die nach kurzer Zeit zerbrechen) und immer wieder defekte Wechselrichter. Diese Bauteile machen aus dem Gleichstrom vom Dach netztauglichen Wechselstrom. Aber sie verschleißen und gehen dummerweise oft just nach Ablauf der Garantie kaputt. Dann sind gern einmal tausend Euro fällig, dazu kommen die Ausfallverluste.

Das Solarstrommagazin Photon führt die Rubrik „Murks des Monats“. Mittlerweile mahnen auch Solarfans wie der Aachener Solarenergie-Förderverein (SFV), der viele Anlagenbetreiber vertritt und stark beteiligt war am EEG, vor den versteckten Nebenkosten: „Wer Wartungsarbeiten und Reparaturen nicht einplant, wird überrascht“, sagt Susanne Jung vom SFV. Und wer nicht regelmäßig die Leistung seiner Anlage prüfe, dem verhelfe „erst die jährliche Endabrechnung zur späten Erkenntnis, dass die Anlage nicht richtig lief“.

Von zunehmenden Problemen berichtet auch die Verbraucherzentrale NRW, die sich seit zwei Jahren mit Solartechnik und der einschlägigen Gesetzgebung beschäftigt. Ihr Mitarbeiter Holger Schneidewindt mahnt, man könne sich in Wahrheit bestenfalls „die ersten zwei Jahre lang zurücklehnen“. So lange haftet gemäß der gesetzlichen Gewährleistung der Installateur um die Ecke für Mängel. Die vollmundigen Herstellergarantien, nach denen die Module 20, 25 ja teilweise sogar 30 Jahre lang mindestens 80 Prozent der Anfangsleistung produzieren sollen, seien dagegen oft nicht viel wert. Wer jenseits der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren einen Schaden beheben lassen will, staunt in aller Regel. Dann ist nämlich entweder der Hersteller pleite, oder er hat sich ins ferne Ausland zurückgezogen – und der Kunde überlegt sich zweimal, ob er notfalls in den USA oder China klagen will. Hat der Eigentümer gewechselt, sind der neuen Firma die geerbten Garantieversprechungen nicht selten lästig und er kommt ihnen nur widerwillig nach.

Abmahnung aufgrund „unlauterer Garantieversprechen“

Oder es kommt der Verweis aufs Kleingedruckte. Da steht dann beispielsweise, dass nur das Modul ersetzt wird. Sämtliche Kosten einer fälligen Prüfung, des Abbaus, des Transports und der Neuinstallation trägt der Kunde. Diese Nebenkosten können den Modulpreis weit übersteigen. Ein anderer Trick: Der Kunde muss den Fehler innerhalb weniger Tage nach Auftreten melden. Soll er etwa täglich aufs Dach klettern und die Module inspizieren? „Wer sich richtig auskennt, nimmt solche Garantien nicht zu ernst“, sagt der Jurist Schneidewindt. Die Verbraucherzentrale verschickt wegen „unlauterer Garantieversprechen“ regelmäßig Abmahnungen.

Wie schlecht es der Branche wegen der immer knapperen Einspeisevergütung und des harten Konkurrenzkampfes geht, zeigt sich an den neuesten Geschäftsmodellen. So versuchen Drückerkolonnen, Eigenheimbesitzern Solaranlagen aufzuschwatzen. Wer sich rumkriegen lässt und unterschreibt, könnte sich später wundern. Will er, wie bei Haustürgeschäften meist gesetzlich erlaubt, vom Vertrag zurücktreten, schickt die Firma ein Inkassounternehmen. Das pocht auf die Einhaltung des Vertrages. Solaranlagenbetreiber seien keineswegs gesetzlich besonders geschützte Verbraucher, sondern Unternehmer, die Umsatzsteuer zahlen. Und die genießen weniger Schutz. Bis heute gibt es in dieser Frage noch kein höchstrichterliches Urteil. Wenn demnächst Photovoltaikanlagen auch über das Internet verkauft werden, fragt sich, ob die Käufer wie üblich das Recht haben, vom „Fernabsatzvertrag“ zurückzutreten.

Der Preisverfall in der Solarbranche betrifft auch die Tester von Adler Solar. Sie werden in Zukunft weniger defekte Module zum Prüfen und Reparieren bekommen, einfach weil es sich wegen schrumpfender Modulpreise immer weniger lohnt. Noch gibt es kein funktionierendes Recycling – dabei ist absehbar, dass Photovoltaik-Module zu Wegwerfartikeln werden. Arbeitslos werden die Bremer trotzdem nicht werden: Weil die Konflikte um Garantie und Versicherung immer häufiger vor Gericht ausgetragen werden, wird der Bedarf an Gutachtern weiter wachsen.

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